Jesus von Nazaret - Vor Pilatus

Nach Mk 15,1–15 lieferte der „ganze Hohe Rat“ Jesus am Folgetag nach einem Beschluss dazu gefesselt an Pilatus aus. Dieser habe ihn gefragt Bist du der König der Juden? und mit entsprechenden Anklagen des Sanhedrin konfrontiert. Doch Jesus habe geschwiegen. Dann habe Pilatus der zusammengeströmten Volksmenge zur üblichen Pessachamnestie Jesu Freilassung angeboten. Doch die Tempelpriester hätten die Menge aufgewiegelt, stattdessen die Freigabe des Barabbas, eines kürzlich inhaftierten Zeloten, zu fordern. Nach mehrfachen vergeblichen Rückfragen, was Jesus getan habe, habe Pilatus der Menge nachgegeben, Barabbas freigelassen und Jesus kreuzigen lassen.

Lk 23,6–12 ergänzt ein Verhör Jesu durch Herodes, der ihn auf sein Schweigen hin verhöhnt, an Pilatus zurückgibt und so dessen Freund wird. Die Szene gilt als redaktioneller Vorgriff auf Apg 4,25–28, wonach ein biblisch vorhergesagtes Bündnis von Heiden und Königen (Ps 2,1 f.) Jesus zu Tode brachte. Lk 23,17 ff. erweitert die Anklage um Vorwürfe, die im Sanhedrinprozess fehlten: Volksverführung und Steuerboykott gegen den Kaiser Roms. Auch den Verlauf der Pessachamnestie variieren die Evangelien (Mt 27,17; Lk 23,16; Joh 18,38 f.). In allen Versionen betreiben die Tempelpriester und ihre Anhänger Jesu Hinrichtung, während Pilatus von seiner Unschuld ausgeht, ihn aber nicht freilässt, sondern ihr Urteil erfragt und ihrem Druck zuletzt nachgibt.

Eine damalige Pessachamnestie ist sonst nirgends überliefert. Die Römer gingen nach außerbiblischen Quellen von sich aus massiv gegen jede prophetisch inspirierte Volksansammlung im Raum Judäas vor.  Jüdische Historiker stellen Pilatus als rücksichtslos, unnachgiebig, korrupt und grausam dar: Er habe die Juden durch Kaisersymbole im Tempelbezirk provoziert, Massaker befohlen (vgl. Lk 13,1) und ständig Juden ohne Gerichtsverfahren hinrichten lassen.  Gemäß römischen Verfahrensweisen in unterworfenen Provinzen konnte Pilatus Jesus nach einem Kurzverhör ohne förmliches Urteil (coercitio) hinrichten lassen: Der Verdacht aufrührerischen Verhaltens genügte.

Jesus hatte laut Mk 11,9.18; 12,12; 14,2 die Sympathie der Festpilger, die das römische Besatzungsrecht ablehnten, und der enge Innenhof des Pilatuspalastes bot einem Volksauflauf kaum Raum. Daher gelten öffentliches Verhör, Volksbefragung, Amnestie und Unschuldserklärungen des Pilatus heute meist als ahistorisch und werden einer antijüdischen Redaktion des Passionsberichts zugewiesen.

Die Tacitusnotiz erwähnt einen Hinrichtungsbefehl des Pilatus, ohne den unter ihm wohl niemand gekreuzigt wurde. Die Evangelien setzen den Befehl voraus, indem sie eine römische Urteilsanzeige, hier als Kreuzestafel, zitieren: Pilatus habe Jesus als „König der Juden“ verurteilt (Mk 15,26 par). Dieser Urteilsgrund gilt meist als historisch, weil der Titel auf einen politisch gedeuteten Messiasanspruch verweist, mit dem Auslieferungsgrund (Mk 15,2 par) übereinstimmt und vor dem Hintergrund des römischen Rechts plausibel ist: Die Römer hatten jüdischen Vasallenherrschern das Tragen des Königstitels seit 4 v. Chr. verboten.  Als „König“ (basileus) hatten sich auch jüdische Zelotenführer bezeichnet. Dies galt nach römischem Gesetz als Majestätsbeleidigung (crimen laesae maiestatis (populi Romani)), Anstiftung zum Aufstand(seditio) und staatsfeindlichen Aufruhr (perduellio), da nur der römische Kaiser Könige ein- oder absetzen durfte. Falls Jesu Verhör wie dargestellt verlief, musste Pilatus Jesu Antwort auf die Frage nach einer angemaßten Königswürde („Du sagst es“) und sein folgendes Schweigen als Geständnis werten, das sein Todesurteil erzwang.

Mit Jesu Hinrichtung zwischen Zeloten wollte Pilatus wahrscheinlich ein Exempel gegen alle rebellischen Juden statuieren und ihre Messiashoffnung verhöhnen. Demgemäß deutet der redaktionelle Vers Joh 19,21 den Protest der Sadduzäer: Jesus habe bloß behauptet, der Messias zu sein. Für die Urchristen bestätigte der Kreuzestitel deren Unrechtsurteil, da Jesus keinen bewaffneten Aufstand geplant habe (Lk 22,38), und Jesu verborgene wahre Identität als des Kyrios Christus, des Herrschers aller Herren (Offb 19,16).

Jesus von Nazaret - Kreuzigung

Die Kreuzigung war im römischen Kaiserreich die grausamste Hinrichtungsmethode, die meist gegen Aufständische, entlaufene Sklaven und Einwohner ohne römisches Bürgerrecht angewandt wurde. Sie sollte Augenzeugen demütigen und von der Teilnahme an Aufruhr abschrecken. Juden galt sie als Verflucht sein durch Gott (Dtn 21,23; Gal 3,13).

Der Todeskampf konnte je nach Ausführung tagelang dauern, bis der Gekreuzigte verdurstete, am eigenen Körpergewicht erstickte oder an Kreislaufversagen starb. Der markinische Passionsbericht nennt jedoch keine Details zum physischen Vorgang, sondern nur zum Verhalten von ausführenden Tätern und Zeugen, zu letzten Worten Jesu und Zeitdauer seines Sterbens.

Laut Mk 15,15–20 entkleideten die römischen Soldaten Jesus, zogen ihm ein Purpurgewand an, setzten ihm eine Dornenkrone auf und verspotteten ihn gemäß dem Pilatusurteil als „König der Juden“, um so die messianische Hoffnung der Juden zu verhöhnen.  Darauf hätten sie ihn geschlagen und angespuckt. Eine Geißelung war integraler Bestandteil der römischen Kreuzigung und wurde oft so brutal durchgeführt, dass der Verurteilte bereits daran starb.

Laut Vers 21 musste Jesus dann selbst sein Kreuz zum Richtplatz vor die Stadtmauer tragen. Als der von den Schlägen Geschwächte zusammengebrochen sei, hätten die Soldaten den zufällig von der Feldarbeit kommenden Juden Simon von Cyrene genötigt, sein Kreuz zu tragen. Dass die Urchristen noch Jahrzehnte später seinen Namen und die seiner Söhne überlieferten, wird als Solidarität zwischen Urchristen und Diasporajuden gedeutet.

Laut Vers 23 boten die Soldaten Jesus Myrrhe in Wein an, bevor sie ihn kreuzigten; diesen Trank habe er abgelehnt. Die Kreuzigung habe um die dritte Stunde (etwa 9 Uhr vormittags) begonnen (V. 25). Dann hätten sie um sein Gewand gelost. Laut Vers 27 wurde Jesus zusammen mit zwei „Räubern“ (Zeloten oder „Sozialbanditen“)  auf dem Hügel Golgota(„Schädelstätte“) vor der damaligen Jerusalemer Stadtmauer gekreuzigt, begleitet von Hohn und Spott der Anwesenden. Um die sechste Stunde habe eine dreistündige Finsternis eingesetzt (V. 33). Gegen deren Ende habe Jesus auf Aramäisch das Psalmzitat Ps 22,2 EU gerufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (V. 34) Dann habe er aus jüdischer Hand einen mit Weinessig (Posca) getränkten Schwamm angenommen (V. 36) und sei unmittelbar darauf mit einem lauten Schrei gestorben (V. 37). Der Tod sei um die „neunte Stunde“ (etwa 15 Uhr nachmittags) erfolgt.

Das Stundenschema, die Finsternis, Anspielungen auf Psalmen und Psalmzitate gelten als theologische Deutung, nicht als historische Details. Sie stellen Jesus in die Reihe der zu Unrecht verfolgten, von der Gewalt aller Feinde umringten und an Gottes Gerechtigkeit appellierenden leidenden Juden.

Jesus von Nazaret - Grablegung

Nach Mk 15,42–47 verstarb Jesus vor Anbruch der Nacht. Daher habe Josef von Arimathäa Pilatus gebeten, ihn vom Kreuz abnehmen und bestatten zu dürfen. Pilatus, erstaunt über Jesu rasches Sterben, habe sich seinen Tod beim römischen Aufseher der Hinrichtung bestätigen lassen und seinen Leichnam dann zur Bestattung freigegeben. Josef habe ihn noch am selben Abend nach jüdischem Brauch in ein Tuch gewickelt, in ein neues Felsengrab gelegt und dieses mit einem schweren Felsen verschlossen. Maria Magdalena und eine andere Maria, die mit anderen Frauen aus Galiläa Jesu Sterben begleiteten, hätten den Vorgang beobachtet.

Römer ließen am Kreuz Getötete oft zur Abschreckung und Demütigung ihrer Angehörigen Tage und Wochen hängen, bis sie verwest, zerfallen oder von Vögeln gefressen worden waren. Für Juden verstieß dies gegen die Vorschrift von Dtn 21,22–23, wonach der „an ein Holz gehängte“ Hingerichtete noch am gleichen Tag begraben werden sollte. Nach Josephus (Bellum Judaicum 4,317) durften von Römern gekreuzigte Juden nach jüdischer Sitte bestattet werden. Dies wird als Rücksicht der Römer auf Gefühle und Religion der Juden gedeutet; im Falle Jesu, um beim Pessachfest keine Unruhe auszulösen.

Die gesetzesgemäße Grablegung eines Verurteilten gehörte eventuell zur Aufgabe des Sanhedrin. Dann hätte Josef von Arimathäa in dessen Auftrag gehandelt. Dies stellt das einstimmige Todesurteil wegen Gotteslästerung in Frage. Dass der Markusbericht die amtliche Prüfung des Todes Jesu erwähnt, sollte diesen wohl gegen frühe Schein tod thesen bekräftigen. Die Namen der Zeuginnen für Jesu Sterben und Grablegung waren offenbar in der Jerusalemer Urgemeinde bekannt. An sie wurde wohl erinnert, weil nur sie nach der Flucht der Jünger Jesu Grabstätte kannten. Sie sollen sie am übernächsten Morgen leer gefunden haben (Mk 16,1–8).  

Der Ort des Jesusgrabes ist unbekannt. Das NT enthält keine Hinweise auf seine Verehrung. Manche Historiker vermuten es unter der heutigen Grabeskirche, weil dort eine Grabverehrung aus dem 1. Jahrhundert archäologisch nachgewiesen ist.

Die historische Forschung untersucht NT-Texte zu Ereignissen nach Jesu Grablegung nur im Rahmen der Geschichte des urchristlichen Auferstehungsglaubens.

Jesus von Nazaret im Islam (Īsā ibn Maryam) 

Īsā ibn Maryam (arabisch عيسى بن مريمDMG Īsā ibn Maryam ‚Jesus, Sohn der Maria) ist die arabische Bezeichnung für Jesus von Nazaret im Koran, der Heiligen Schrift des Islam.

Die Darstellung Jesu im islamischen Schrifttum zeigt Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede zu neutestamentlichen Darstellungen und Beschreibungen Jesu Christi: Jesus wird im islamischen Schrifttum als مسيحmasī / ‚Gesalbter, Messias‘, رسولrasūl / ‚Gesandter‘, ein Prophet (der letzte von 24 Vorgängern Mohammeds) (arabisch: نبي nabī) und Wort Gottes, nicht aber als Sohn Gottes bezeichnet.

Jesus von Nazaret im Islam, Namensform

Der Koran verwendet Īsā عيسی, anstelle der Standard-aramäischen Jeschua-Form, die für andere Rabbiner verwendet wurde. Es wird angenommen, dass Mohammed diese Form nicht bekannt war. Arabische Christen verwenden Yasū(يسوع).

Jesus von Nazaret im Koran

Im Koran ist Jesus Sohn der Maria, wie der arabische Name Īsā ibn Maryam schon besagt:

„Und wir haben Jesus, dem Sohn der Maria, die klaren Beweise gegeben und ihn mit dem heiligen Geist gestärkt.“

– Sure 2, Vers 87: ÜbersetzungRudi Paret

Er ist das Ergebnis eines schöpferischen Aktes Gottes, entstanden durch das Wort „sei!“ (Sure 3,47). Darin „ist er vor Gott gleich wie Adam“ (Sure 3,59). Die Geburt Jesu ohne einen biologischen Vater, seine jungfräuliche Geburt, ist auch aus islamischer Sicht ein Wunder. Maria wurde durch Gottes Macht schwanger. Der Heilige Geist (der im Koran oft als Erzengel Gabriel erscheint) brachte Maria diese Botschaft:

„17. Da nahm sie sich einen Vorhang (oder: eine Scheidewand) (um sich) vor ihnen (zu verbergen). Und wir sandten unseren Geist zu ihr. Der stellte sich ihr dar als ein wohlgestalteter (w. ebenmäßiger) Mensch. 18 Sie sagte: ‚Ich suche beim Erbarmer Zuflucht vor dir. (Weiche von mir) wenn du gottesfürchtig bist!‘ 19 Er sagte: ‚(Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.) Ich bin doch der Gesandte deines Herrn. (Ich bin von ihm zu dir geschickt) um dir einen lauteren Jungen zu schenken.‘ 20 Sie sagte: ‚Wie sollte ich einen Jungen bekommen, wo mich kein Mann (w. Mensch) berührt hat und ich keine Hure bin?‘ (oder:…berührt hat? Ich bin (doch) keine Hure!)' 21 Er sagte: ‚So (ist es, wie dir verkündet wurde). Dein Herr sagt: (oder: So hat dein Herr (es an)gesagt.) Es fällt mir leicht (dies zu bewerkstelligen). Und (wir schenken ihn dir) damit wir ihn zu einem Zeichen für die Menschen machen, und weil wir (den Menschen) Barmherzigkeit erweisen wollen (w. aus Barmherzigkeit von uns). Es ist eine beschlossene Sache.‘“

– Sure 19, Vers 17–21: Übersetzung: Rudi Paret

Jesus ist der Gesandte Gottes (rasūlu llāhSure 4,157) und ein Prophet (nabī: Sure 19,30). Er hat eine eigene Schrift empfangen (Sure 5,46), das Evangelium (Indschil) (Sure 57,27). Er konnte bereits in der Wiege sprechen (Sure 3,46) und Vögeln aus Ton Leben einhauchen, Blinde und Aussätzige heilen und Tote erwecken (Sure 5,110). Jesus ist das „Wort der Wahrheit“ (qaul al-haqq, Sure 19,34). Gott stärkte Jesus mit dem „heiligen Geist“ (ar-rū al-qudus) und lehrte ihn die „Schrift, die Weisheit, die Thora und das Evangelium“ (Sure 5,110).

Jesus von Nazaret ist nicht der „Sohn Gottes“:

„Christus Jesus, der Sohn der Maria, ist nur der Gesandte Gottes […] Gott ist nur ein einziger Gott. […] (Er ist darüber erhaben) ein Kind zu haben.“

– Sure 4, Vers 171: Übersetzung: Rudi Paret

Jesus ist der Christus (Sure 4,172) und:

„(Damals) als die Engel sagten: ‚Maria! Gott verkündet dir ein Wort von sich, dessen Name Jesus Christus, der Sohn der Maria, ist!‘“

– Sure 4, Vers 171: Übersetzung: Rudi Paret

Jesus ist „sein (Gottes) Geist“ (rūḥ min-hu): und „Geist von ihm“: Sure 4,171.

Er ist „einer von denen, die (Gott) nahestehen“ (min al-muqarribīn), der „im Diesseits und Jenseits angesehen sein“ wird: Sure 3,45. Die Koranexegese versteht ihn somit als Propheten in dieser und als Fürsprecher in der anderen Welt.

Man versteht ihn auch als „gesegnet“ (mubārak): „Und er hat gemacht, dass mir, wo immer ich bin (die Gabe des) Segen(s) verliehen ist“ (Sure 19,31), dessen Sendung ein Zeichen (Āya) und eine Barmherzigkeit (raḥma) ist, „damit wir ihn zu einem Zeichen für die Menschen machen, und weil wir (den Menschen) Barmherzigkeit erweisen wollen“ (Sure 19,21).

Jesus ist im Besitze von klaren Beweisen (bayyināt) und der Weisheit (ḥikma): „Und als Jesus mit den klaren Beweisen (zu den zeitgenössischen Kindern Israels) kam, sagte er: ‚Ich bin mit der Weisheit zu euch gekommen‘“ (Sure 43,63).

Jesus von Nazaret - Die Kreuzigung in der islamischen Tradition

Im Koran wird Jesu Scheiden aus dem irdischen Leben mehrfach erwähnt. So wird von Jesu „Abberufung“ berichtet:

„Gott sagte: ‚Jesus! Ich werde dich (nunmehr) abberufen (innī mutawaffīka) und zu mir (in den Himmel) erheben und rein machen‘“

– Sure 3, Vers 55: Übersetzung: Rudi Paret

Ähnlich lässt der Koran Jesus sprechen, dass er gestorben ist:

„Nachdem du mich abberufen hattest …“

– Sure 5, 117: Übersetzung: Rudi Paret

Jesus von Nazaret – Islam Doketismustheorie

Nach der Doketismustheorie wird Jesus nur zum Schein gekreuzigt. Seine Schmerzen und seine Leiden sind nur eine Illusion für die Beobachter. Jesus selbst wird stattdessen zu Gott erhoben. Hier finden sich Parallelen zu (gnostizistischen) christlich-doketischen Vorstellungen, in denen das eigentliche (göttliche) Wesen nicht getötet werden kann, wenn auch der Körper vernichtet wird.

Jesus von Nazaret – Islam Substitutionstheorie

Die Substitutionstheorie lehnt die Vorstellung einer Kreuzigung Jesu ab und geht davon aus, dass statt seiner eine andere, ihm optisch ähnliche Person gekreuzigt worden ist:

„Und (weil sie) sagten: ‚Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes getötet.‘ – Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich, (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten). Und diejenigen, die über ihn (oder darüber) uneins sind, sind im Zweifel über ihn (oder: darüber). Sie haben kein Wissen über ihn (oder: darüber), gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewissheit getötet (d.h. sie können nicht mit Gewissheit sagen, daß sie ihn getötet haben). // Nein, Gott hat ihn zu sich (in den Himmel) erhoben.“

– Sure 4, Vers 157–158: Übersetzung: Rudi Paret

Die entscheidende Stelle im obigen Koranvers ist der Passus: „Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich, (so dass sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten)“ – im Originaltext: wa-lākin šubbiha lahum. Das Verb bedeutet allgemein „ähnlich machen“ oder „als ähnlich ansehen“, das daraus abgeleitete Substantiv (tašbīh) heißt dann „Verähnlichung“ oder „Verwechslung“. Diese Grundbedeutungen spielen auch in der Exegese des Verses eine zentrale Rolle. Der Koranexeget Ibn 'Atiya († 1151 oder 1152) aus Córdoba führt hierzu aus:

„Über das Wie des Tötens und der Kreuzigung sowie über diejenigen, auf den die Ähnlichkeit (Jesu) geworfen wurde, gibt es viele verschiedene Meinungen, und es gibt nichts vom Gesandten Gottes, was feststeht.“

– Ibn 'Atiya: nach Heribert Busse

In der Tat verzeichnen die Traditions sammlungen keinen Prophetenspruch, in dem die fragliche Koranstelle erläutert wäre. at-Tabari, der in seinem Korankommentar die Auslegung dieser Koranstelle: („Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich“) auf 5 Seiten darstellt, zitiert ebenfalls keinen Prophetenspruch, sondern referiert lediglich die ältesten Koranexegeten, unter ihnen Mudschāhid ibn Dschabr († 722) und andere aus dem späten 7. und frühen 8. Jahrhundert.

Die Koranexegeten waren bestrebt, die Koranstelle (Sure 3, Vers 55) und das dort erhaltene Gotteswort „mutawaffī-ka wa-rāfiu-ka“ – „ich werde dich (nunmehr) abberufen und zu mir (in den Himmel) erheben“ genau zu deuten. Der Koranexeget und Theologe Muqātil ibn Sulaimān († 767 in Basra) bestätigt zwar, daß das entsprechende Verb zu „mutawaffī-ka“ (tawaffā) „den Tod durch Gott bewirken“ bedeutet, dies im Fall Jesu jedoch erst nach dessen Rückkehr eintreten wird. Für Muqātil liegt hier ein hysteron proteron (arabisch: taqdīm al-muaḫḫar) vor, denn es heißt an der Stelle: „ich werde dich aus dieser Welt zu mir erheben und dich abberufen, nachdem du vom Himmel zur Zeit des Daddschāl herabgestiegen bist.“ aṭ-Ṭabarī und Ibn Kathir stellen mehrere exegetische Traditionen zusammen, in denen ebenfalls nicht vom Tod, sondern nur von einem Schlaf Jesu die Rede ist. Denn spätestens seit al-Hasan al-Basri ließ man selbst den Propheten zu den Juden sprechen: „Īsā ist nicht gestorben, er wird (vielmehr) vor dem Tag der Auferstehung zu euch zurückkehren“.

Außerhalb der Koranexegese beschäftigt sich auch eine weitere literarische Gattung des islamischen Schrifttums mit der koranischen Kreuzigungsgeschichte: die Prophetenlegenden (qiṣaṣ al-anbiyāʾ). Ihr ältester Vertreter Wahb ibn Munabbih († gegen 728–732) berichtet im Korankommentar von at-Tabari, Jesus habe unter seinen Jüngern jemanden gesucht, der für ihn sterben würde. Als ein Freiwilliger, dessen Name im Bericht unerwähnt bleibt, hervortrat, ergriffen ihn die Juden.

„Gott hatte ihn ja in die Gestalt Jesu verwandelt. Sie ergriffen ihn und töteten und kreuzigten ihn. So wurde bewirkt, daß sie (ihn für Jesus) hielten (fa-min ṯamma šubbiha lahum) und glaubten, sie hätten Jesus getötet. Genauso glaubten die Christen, es sei Jesus. Und Gott hob Jesus am gleichen Tag empor.“

– Wahb ibn Munabbih: at-Tabari

Wahb ibn Munabbih, der als Kenner der Schriften der Juden und Christen im islamischen Schrifttum bekannt war, schildert in einer Überlieferungsvariante bei at-Tabari die Passionsgeschichte ausführlich und schließt seinen Bericht mit den Worten ab: „Bis sie (die Juden) ihn zu dem Holz brachten, an dem sie ihn kreuzigen wollten. Da hob Gott ihn zu sich empor, und sie kreuzigten, was ihnen (Jesus ähnlich gemacht) wurde“.

Die Kreuzigung wurde somit durch eine Veränderung verhütet, die einen anderen Jesu ähnlich gestaltete. Dabei wird aber die Himmelfahrt Jesu offenbar in einem irdischen und nicht in einem verklärten Leib angenommen.

Dieser alte Bericht wird in der koranexegetischen Literatur mehrfach und mit einigen Varianten überliefert. In der späteren Koranexegese, die stets auf die Berichte von Wahb ibn Munabbih zurückgreift, identifiziert man den bis dahin unbekannten Gekreuzigten mit Judas Iskariot: „Gott warf die Ähnlichkeit Jesu auf denjenigen, der sie zu Jesus geführt hatte – er hieß Judas – und sie kreuzigten ihn an seiner Statt, wobei sie glaubten, es sei Jesus.“  Diese Version wird auch im sogenannten Barnabas evangelium aufgegriffen.

Erwähnenswert ist bei der islamischen Schilderung der Kreuzigungsgeschichte, dass die Exegese nicht vom Kreuz (ṣalīb) spricht, sondern vom „Holz“, oder „Baum“. In der alten, auf Wahb ibn Munabbih zurückgeführten Prophetenlegende spricht man vom Holz (ḫašaba); bei späteren Exegeten ist von einem „erhöhten Holz“ oder von einem „erhöhten Ort“ die Rede. Diese Vorstellung hat in der arabischen Tradition ihren Ursprung: Einem Bericht von Ibn Ishaq zufolge kreuzigten die Mekkaner einen Medinenser, indem sie ihn auf ein Holz erhoben, fesselten und mit Lanzenwürfen töteten. Ähnliche Motive finden sich auch in der arabischen Poesie.

Zwar waren die Evangelien bereits im späten 8. Jahrhundert in arabischen Übersetzungen bekannt , doch ist die Argumentation gegen die Kreuzigungsgeschichte mit Hinweis auf die im Koran mehrfach erwähnte Schriftfälschung (tahrif) durch die Christen im islamischen Schrifttum relativ spät zu beobachten. Fachr ad-Din ar-Razi († 1209 in Herat) argumentiert in seinem Korankommentar zur Textfälschung mit der Bemerkung: „Die Überlieferung (tawātur) der Christen geht auf wenige Leute zurück, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie sich zur Lüge verabredet hatten.“ Etwa hundert Jahre später behandelt Ibn Taimiya († 26. September 1328 in Damaskus) Sure 4, Vers 157 in seinem Buch Die richtige Antwort auf diejenigen, die die Religion Christi abgeändert haben unter der Überschrift: „Verfälschungen (taḥrīfāt) in der Thora und im Evangelium“ und weist dort den Tod Jesu am Kreuz zurück

Jesus von Nazaret – im außerkoranischen Schrifttum

Nach Darstellung in der Prophetenbiographie von Ibn Ishaq trifft Mohammed bei seiner Himmelsreise Jesus im zweiten Himmel: „Sodann brachte er mich hinauf in den zweiten Himmel, und siehe, da waren die beiden Vettern Jesus, der Sohn der Maria und Johannes, der Sohn des Zacharias.“ Die Traditionsliteratur hat es mehr als die Sira verstanden,Mohammeds Himmelfahrt mit weiteren Einzelheiten auszustatten. al-Buchari überliefert in seiner Hadithsammlung (siehe:al-Kutub as-sitta) diese Begegnung wie folgt: „Da sagte man: ‚Er sei willkommen, und wohl seiner Ankunft!‘ Da machte er auf, und als ich eintrat, waren Johannes und Jesus, die beiden Vettern, da und (Gabriel) sagte: ‚Das sind Johannes und Jesus, grüße sie.‘ Da grüßte ich sie, und sie erwiderten den Gruß und sagten darauf: ‚Willkommen sei der rechtschaffene Bruder und der rechtschaffene Prophet.‘“

Im außenkoranischen Schrifttum wird die Wiederkehr Jesu – im Allgemeinen nuzūl al-Masīḥ: „Herabsteigen Christi“ genannt – mehrfach und mit legendenhaften Elementen ausgestattet dargestellt. Den Ausgangspunkt dieser Schilderungen bieten der Koran und die Auslegung des Koranverses, der unmittelbar nach dem oben genannten „Kreuzigungsvers“ steht:

„Und es gibt keinen von den Leuten der Schrift, die nicht (noch) vor seinem (d. h. Jesu) Tod (der erst am Ende aller Tage eintreten wird) an ihn glauben würde. Und am Tag der Auferstehung wird er über sie Zeuge sein.“

– Sure 4, Vers 159: Übersetzung: Rudi Paret

Da Jesus nach islamischer Vorstellung nicht am Kreuz gestorben ist, sondern Gott ihn lebend zu sich erhoben hat, versteht die Exegese seine Wiederkehr am Tag der Auferstehung in Menschengestalt, mit einer Lanze in der Hand, mit der er den Antichrist (Daddschāl) töten wird. Die eschatologische Literatur liefert hierzu mehr Einzelheiten als die Koranexegese; Jesus tötet alle Christen und Juden, die an ihn nicht glauben, zerstört die Kirchen und Synagogen, tötet die Schweine und zerstört das Kreuz – hier das arabische Wort für Kreuz: ṣalīb und nicht Brett, Holz (ḫašaba) genannt – das Symbol des Christentums. Mit dem Erscheinen Jesu rechnet man, je nach Überlieferung, entweder am Osttor von Damaskus, oder im Heiligen Land.  Einigen Überlieferungen zufolge tötet Jesus den Daddschal an den Toren von Ludd/Lydda. Andere Traditionen berichten, dass Jesus den Daddschal an der Kirche des heiligen Georg von Ludd töten wird. Diese Berichte der islamischen Eschatologie und Prophetenlegenden gehen auf jüdische Traditionen zurück. Diese Traditionen, die überwiegend auf Mohammed zurückgeführt werden, erscheinen in den eigens dafür angelegten Kapiteln der Hadith sammlungen unter dem Titel Kitab al-fitan (Das Buch der Versuchungen), Kitab al-fitan wal-malahim (Das Buch der Versuchungen und Gemetzel). Das bekannteste und umfangreichste Werk, das der Eschatologie und den chiliastischen Erwartungen der Muslime gewidmet ist, verfasste der Traditionarier Nu'aim ibn Hammad, der als Gefangener während der Mihna im Jahre 844 starb. Einige Kapitel in seiner Sammlung stellen die Wiederkehr Jesu am Jüngsten Tag in Form von angeblichen Prophetensprüchen dar. Das frühe Interesse für diese Thematik ist in der Hadithliteratur bereits in der Mitte des 8. Jahrhunderts schriftlich dokumentiert. Auf den ägyptischen Traditionarier Abd Allah ibn Lahi'a († 790) geht die Heidelberger Papyrusrolle zurück, in der eschatologische Überlieferungen erhalten sind.

Den Überlieferungen zufolge soll der Aufenthalt Jesu auf Erden vierzig Jahre dauern; nach seinem natürlichen Tod, so die islamische Tradition, wird er in Medina neben Mohammeds Grab, zwischen den Gräbern von Abu Bakr und Umar ibn al-Chattab von Muslimen beigesetzt.

Jesus von Nazaret in der Ahmadiyya-Theologie

Gemäß dem Ahmadiyya-Gründer Mirza Ghulam Ahmad († 1908) wird Jesus mit der Figur des Yuz Asaf identifiziert. Er soll nach der Kreuzigung, die er überlebte, sich auf die Suche nach den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“ begeben haben und bis nach Kaschmir ausgewandert sein. In Kaschmir soll er die zehn verlorenen Stämme zum wahren Glauben zurückgeführt haben. Jesus sei dann in Srinagar eines natürlichen Todes gestorben; sein angebliches Grab im Roza Balwird dort gezeigt und noch heute verehrt.

Jesus von Nazaret - Mystik

In Teilen des Sufismus gilt Jesus als „Prophet der Liebe“ und als „Siegel der allgemeinen Heiligkeit“ (ammah). Er spiegle als vollkommener Mensch (insan-i kamil) die Eigenschaften Gottes wider und gilt als Vorbild für Asketen. Für einige Sufis steht die Kreuzigung Jesu im Zusammenhang mit dem „sterben bevor man stirbt“ (Fana). Er habe die Einheit mit Gott erreicht, nach der Sufis streben, als er wieder auferstanden sei. Dabei gibt es Parallelen zur Trinität des Christentums, die innerhalb des Sufismus aber nur in Form der Vergöttlichung des Menschen, nicht aber in der Menschwerdung Gottes, bestehen.

Jerusalemer Tempel

Unter dem Jerusalemer Tempel (hebräisch בֵּית־הַמִּקְדָּשׁ Bet HaMikdasch) versteht man zum einen den Tempel Salomos, welcher Anfang des 6. Jh. v. Chr. durch die Babylonier zerstört wurde, zum anderen den sogenannten zweiten Tempel(vollendet 515 v. Chr.) bis zu seiner Zerstörung 70 n. Chr. durch die Römer.

Der erste Jerusalemer Tempel ist nach biblischer Darstellung von Salomo auf dem Berg Moria gebaut worden (2 Chr3,1 EU). Archäologen nehmen allerdings an, dass dieser Tempel genauso wie die „salomonischen“ Paläste erst etwa zweihundert Jahre nach der Herrschaft Salomos errichtet wurde.  Dieser Tempel wurde, wie die gesamte Stadt Jerusalem, bei der Eroberung durch die Babylonier unter Nebukadnezar II. 586 v. Chr. zerstört.

Nach dem babylonischen Exil wurde in Jerusalem ein zweiter Tempel erbaut, nach biblischer Darstellung während der Herrschaft des persischen Königs Dareios I. Dieser Tempel diente um 170 v. Chr. zeitweilig als Zeusheiligtum und wurde ab 21 v. Chr. unter Herodes dem Großen grundlegend umgebaut und erweitert und schließlich bei der Niederschlagung des Jüdischen Krieges durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. zerstört. Die Westmauer dieses zweiten Tempels ist bis heute erhalten und als Klagemauer bekannt. Auf dem Tempelberg selbst stehen heute der Felsendom und die al-Aqsa-Moschee, die nach den heiligen Stätten in Mekka und Medina bedeutendsten Heiligtümer für Muslime.

Jerusalemer Tempel - Das Zeltheiligtum (Mishkan, Stiftshütte)

2. Buch Mose (Ex 25–27 EU und Ex 36–39 EU) ist die Konstruktion eines zerlegbaren und transportablen Zeltheiligtums sehr detailliert beschrieben. Dort wird das Heiligtum „Zelt der Begegnung“ (Ex 27,21 EU) genannt. Das Zelt diente laut biblischer Darstellung den Israeliten während ihrer Wüstenwanderung und bis zur Zeit König Davids als zentraler Ort der Begegnung mit Gott. Zuerst wurde es auf den Wanderungen mitgeführt, später hatte es seinen Standort in Schilo etwa in der Mitte des Landes Israel.

Nach der biblischen Beschreibung war die Stiftshütte 30 Ellen lang, zehn Ellen hoch und zehn Ellen breit.  Im Inneren befand sich das Allerheiligste Kodesh HaKodashim (קדש הקדשים wörtlich „das Heilige der Heiligtümer“) mit derBundeslade. Einige Forscher sind der Ansicht, dass Details in der Beschreibung des Zeltheiligtums und seiner Zeremonien in Wirklichkeit den Gegebenheiten und den Gebräuchen des späteren steinernen Tempels entstammen und erst nachträglich auf das Zeltheiligtum zurückprojiziert wurden.

Nachdem David Jerusalem von den Jebusitern erobert und zur Hauptstadt Israels gemacht hatte, ließ er das Zeltheiligtum dorthin bringen. Später wurde es möglicherweise in zerlegter Form im salomonischen Tempel aufbewahrt; spätestens mit der Zerstörung dieses Tempels ging es verloren.

Jerusalemer Tempel - Quellenlage

Informationen über den salomonischen Tempel liefert ausschließlich die hebräische Bibel. Die Aufzeichnungen über den salomonischen Tempelbau finden sich in 1 Kön 5,15–6,38 EU, und 2 Chr 1,18–5,1 EU, einzelne weitere Notizen außerdem bei Jer 52 EU und in 2 Kön 25 EU. Die biblischen Angaben sind unter historischem Gesichtspunkt allerdings umstritten. Da die Inschrift auf dem Elfenbein-Granatapfel von der Mehrheit der Experten für eine Fälschung gehalten wird, sind heute keine Objekte aus dem Ersten Tempel bekannt. Insofern gilt die Existenz eines Tempels aus „salomonischer“ Zeit archäologisch als nicht nachgewiesen.

Jerusalemer Tempel - Datierung

Nach biblischen Angaben (1 Kön 6,1 EU) wurde der Bau des ersten festen Tempels von Salomo im vierten Jahr seiner Regentschaft begonnen. Das entspricht nach biblischer Chronologie dem Jahr 957 v. Chr. Die Bauzeit betrug sieben Jahre (1 Kön 6,38 EU). Salomos Regentschaft begann demnach 961 v. Chr.

Nach architektonischen und astronomischen Untersuchungen sieht Erwin Reidinger diese Chronologie bestätigt. Er hat dazu den Ort und die geografische Ausrichtung des Allerheiligsten des salomonischen Tempels anhand der noch sichtbaren architektonischen Merkmale des Felsens innerhalb des heutigen Felsendoms und der herodianischen Mauerverläufe zu rekonstruieren versucht und geht davon aus, dass die Daten des Sonnenaufgangs in Richtung der Bauachse dieser Rekonstruktion Rückschlüsse auf die Zeit der ursprünglichen Bauausführung zulassen. Reidingers Grundannahmen und Schlussfolgerungen haben in der archäologischen Wissenschaft keinen größeren Nachhall gefunden.

Jerusalemer Tempel bau

Das steinerne Gebäude wurde mit Hilfe phönizischer Baumeister auf dem BergMoria in Jerusalem errichtet und hatte die Maße von 60 Ellen Länge, 20 Ellen Breite und 30 Ellen Höhe. Es war an drei Seiten mit Seitenzimmern in drei Stockwerken übereinander umgeben, welche zur Bewahrung der Schätze und Gerätschaften des Tempels dienten. Der Eingangsseite vorgelagert war eine Vorhalle, ebenfalls 20 Ellen breit, zehn Ellen tief (1 Kön 6,3 EU) und 120 Ellen hoch (2 Chr 3,4 ELBnach dem masoretischen Text; in wenigen Texttraditionen werden auch 20 Ellen Höhe genannt). Davor standen zwei bronzene Säulen, Jachin und Boas („Festigkeit und Stärke“), die keine konstruktive Funktion hatten, sondern den Eingang zur Vorhalle flankierten. Wie in der Antike üblich befand sich der Eingang im Osten, das Allerheiligste im Westen.

Einrichtung

Das Innere enthielt einen 40 Ellen langen Vorderraum, das Heilige, worin die goldenen Leuchter, der Schaubrottisch und der Räucheraltar standen, und einen durch einen Vorhang davon geschiedenen quadratischen Hinterraum von 20 Ellen Länge, das Allerheiligste, mit der Bundeslade und den zwei großen Cherubim. Beide Räume waren an den Wänden, das Allerheiligste (Adyton) auch am Boden und an der Decke mit Holzwerk getäfelt. Der große Hauptaltar für die Brandopferstand im Hof, vor dem Eingang des eigentlichen Tempels.

Jerusalemer Tempel - Benutzung und Kult

Man geht heute allgemein davon aus, dass das Heilige nur den Priestern zugänglich war, das Allerheiligste durfte nur der Hohepriester einmal jährlich, am Jom Kippur, betreten. Nach Überlieferung des Talmud wurden allerdings von Zeit zu Zeit Reinigungskräfte von oben in Körben in den Raum hinabgelassen; diese verrichteten ihre Arbeit mit Blick zur Wand, das Betrachten des Inneren des Raumes war ihnen strikt verboten.

Das Tempelgebäude war von einem inneren Vorhof der Priester mit dem Brandopferaltar, dem Reinigungsbecken und anderen Gerätschaften umgeben, und dieser durch Säulengänge mit bronzenen Toren von dem für das Volk bestimmten und von einer Mauer umschlossenen äußeren Vorhof getrennt.

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