Mose - JHWHs (Gott) Bilderverbot

Das biblische Fremdgötterverbot wird sogleich im Bilderverbot konkretisiert, das nach beiden Dekalogversionen sowohl Abbildungen fremder wie des eigenen Gottes verbietet. Damit wird JHWHs Verehrung endgültig von allen anderen Kulten unterschieden. Denn dort wurden auch höchste und einzige Götter immer in Bildern dargestellt und verehrt, die ihre Kräfte vergegenwärtigten.

Gottesbilder wurden auch in Israels Nachbarschaft nicht mit dem abgebildeten Gott identifiziert und oft verhüllt, um dieTranszendenz zu wahren. Doch das Bilderverbot stellt den unsichtbaren Gott gegen die im Bild greifbaren Götter, weil er für Israel der Schöpfer aller Dinge ist und sich vorbehält, wem und wie er sich offenbart. Diese Unabhängigkeit korrespondiert mit der Selbstbindung JHWHs an die Befreiung seines Volkes. Die Erinnerung an den Exodus sperrt sich dagegen, ihn nach Art fremder Götter zu verehren, die in der Regel Herrschaftsverhältnisse absegneten. Israels Gott will nicht im Kult repräsentiert, sondern im Sozialverhalten in allen Lebensbereichen verehrt werden.

In beiden Versionen erstreckt sich der Verbotsbereich auf Himmel, Erde und Unterwelt, also alle „Stockwerke“ des damaligen Weltbilds. Die deuteronomische Auslegung in Dtn 4,12–20 EU bekräftigt das Verbot, Gott weder als Mann noch Frau noch Tier noch Gestirn darzustellen, wie es in den kanaanäischen Fruchtbarkeitskulten und babylonischen Astralkulten üblich war. Gläubige Juden können daher nichts in der Welt der geschaffenen Dinge als göttlich betrachten. Sie wurden darum im Hellenismus später als „Atheisten“ bezeichnet.

Da Gott sich für Juden von Beginn an durch sein – ebenfalls exklusiv gedachtes – Wort offenbarte (Gen 1,3 EU), betrifft das Bilderverbot im Tanach nur optische und gegenständliche Abbilder, nicht Sprachbilder. Diese zeigen eine große Vielfalt an Metaphern, Vergleichen und Anthropomorphismen.

Ältere Vorformen wie Ex 34,12ff EU gebieten mit dem Ausschluss anderer Götter zugleich die Zerstörung ihrer Kultstätten in Israel. Dies reagierte eventuell auf Gleichsetzungen JHWHs mit dem kanaanäischen Baal im Bild des Stiers (1 Kön12,26ff EU), die hinter der Erzählung vom Goldenen Kalb in Ex 32 EU steht. Dieser Synkretismus wurde wohl seit dem Auftreten des Propheten Elija im Nordreich Israel als Übernahme von Wesenszügen Baals aufgefasst und abgelehnt (1 Kön18 EU). Auch Hosea kämpfte für das erste Gebot gegen die „Hurerei“ des Baalskultes (Hos 8,4ff EU; 10,5f EU; 11,2EU; 13,2 EU). Doch nach vergeblichen Anläufen von Hiskijas (2 Kön 18,4 EU) ließ erst König Josia die noch bestehenden Baalkultorte um 620 v. Chr. zerstören (23 EU). So wurde die alleinige Verehrung JHWHs innenpolitisch durchgesetzt.

Um sein Gewicht zu unterstreichen, wird das Bilderverbot nochmals mit einer ähnlichen Gottesrede wie der Präambel bekräftigt. Es bildet daher mit der exklusiven Selbstvorstellung JHWHs eine unauflösbare Einheit. Erst dadurch wird der indikativisch formulierte Zuspruch („Ich bin…“) zum ebenso verbindlichen Anspruch („Du sollst…“, wörtlich „Du wirst…“).

Mose - Apodiktische Rechtssätze

Auf die Gebote der Sabbat-Heiligung und des Ehrens der Eltern folgen eine Reihe von apodiktisch – begründungslos und kategorisch – formulierten Einzelverboten. Sie schließen ein bestimmtes Verhalten generell aus, ohne das positiv intendierte Verhalten festzulegen, erheben also Anspruch auf kollektive und zeitübergreifende Geltung. Dabei sind sie wörtlich als ermutigender Zuspruch formuliert („Du wirst nicht …“), drücken also ein unbedingtes Zukunftsvertrauen in den Adressaten aus.

Das unterscheidet sie von einer Vielzahl aus der alltäglichen Rechtsprechung stammender Gebote zu bestimmten Einzelfällen (Kasuistik). Solche „Wenn-dann“-Bestimmungen haben Vorbilder und Parallelen in der altorientalischen Umgebung Israels, beispielsweise im Codex Hammurapi.

Mose - Vertragsform

William Sanford LaSor deutet die Sinaiperikope (Ex 20–24) als Gründungsurkunde des Bundes zwischen JHWH und dem Volk Israel. Der Dekalog ähnele einem damals üblichen Vertrag zwischen einem Großkönig und seinem Vasallen. Auch Lothar Perlitt sieht Parallelen zu hethitischen Staatsverträgen, die von den Israeliten nachgeahmt worden seien. Er schließt daraus ein hohes Alter des Textes.

Folgende Ähnlichkeiten findet LaSor:

·                    Die Präambel nennt den Bundesstifter mit seinen Titeln.

·                    Der Prolog umschreibt die frühere Beziehung zwischen den Vertragsparteien und betont Wohltaten, die der Großkönig dem Vasallen hat zukommen lassen.

·                    Die Bundessatzung besteht aus:

·                                a. der Grundforderung der Bundestreue

·                                b. detaillierte Bestimmungen. In säkularen Verträgen werden hier die Verpflichtungen des Vasallen seinem Großkönig gegenüber festgeschrieben.

·                    Weitergehende Verfügungen über:

·                                a. die Hinterlegung des Textes. Bundestexte werden im Tempel aufbewahrt. Die Tafeln mit dem Bundestext waren in der Bundeslade zu deponieren.

·                                b. die wiederholte, in regelmäßigen Abständen vorzunehmende öffentliche Verlesung des Bundestextes. Diese könnte im vorstaatlichen Israel bei Stämmeversammlungen in Sichem (Jos 24 EU), später beim Jerusalemer Tempel (1 KönEU) vollzogen worden sein.

·                    Segenszusagen und Fluchandrohungen, die dem Vasallen zuteilwerden sollen, je nachdem, ob er die Bundesbestimmungen einhält oder nicht. Diese sind biblisch nicht beim Dekalog, sondern zweimal im weiteren Verlauf der Tora, nämlich in Lev 26 EU und Dtn 28 EU ausgeführt.

Hieraus folgert LaSor, dass der Dekalog nie als Moralkodex konzipiert war, sondern als Verordnung, die das Bundesverhältnis regelt und als Grundvoraussetzung der gnädigen Zuwendung Gottes zum Volk Israel gesetzt wurde. Halte sich das Volk nicht an diese Gebote, breche es folglich den Bund und höre in gewissem Sinne auf, Gottes Volk zu sein. Aus diesem Zusammenhang lasse sich auch die weitere Geschichte Israels verstehen. Das Volk entferne sich immer wieder von JHWH; dieser leite dann eine Art Gerichtsverfahren ein, indem er zuerst die Propheten sende, die das Volk letztmals zur Umkehr rufen und ihm das drohende Gericht ankündigen. Erst danach lasse er seinen Fluch über das Volk kommen.

 

Mose – Die Zehn Gebote - Entstehungsprozess

Die Zehn Gebote sind in einem jahrhundertelangen Prozess entstanden und zusammengewachsen. Sie waren anfangs nur eine von mehreren formal wie inhaltlich verwandten Gebotsreihen, die JHWHs Willen zusammenfassten: Ex 34,17–26 EU,Lev 19,1f.11–18 EUDtn 27,15–26 EU – ein sogenannter Dodekalog (Zwölfwort), eventuell bezogen auf die Zwölf Stämme Israels – und Ez 18,5–9 EU. Auch die beiden Dekalogvarianten enthalten je zwölf Einzelforderungen, die aber schon innerhalb der Tora als „Zehnwort“ (Ex 34,28 EU) bezeichnet und entsprechend eingeteilt wurden. Die älteste bekannte Bibelhandschrift zum Dekalog, der Papyrus Nash (um 100 v. Chr.), bezeugt einen Mischtext aus Ex 20 und Dtn 5. Demnach war der Dekalog damals noch nicht endgültig formuliert, sondern wurde bis zum Abschluss des jüdischen Bibelkanons (um 100 n. Chr.) weiterentwickelt.

Die ersten drei Gebote (nach lutherischer und katholischer Zählung) sind als direkte Gottesrede formuliert und ausführlich begründet (Ex 20,2–6). Die folgenden knappen und unkonditionalen Einzelweisungen (Ex 20,7–17) reden von Gott in der dritten Person. Beide Teile entstanden daher wohl unabhängig voneinander, wurden nachträglich miteinander verknüpft und zuletzt gemeinsam unter Gottes einleitende Selbstvorstellung gestellt. Erst dadurch erhielten die „Prohibitive“ (unbedingt ausschließende Verbote), deren persönliche Anredeform im altorientalischen Recht verbreitet war, den Charakter eines gesamtisraelitischen Bundesrechts.

Ähnliche Selbstvorstellungen JHWHs (Hos 13,4 EUPs 81,11 EU) und Kritikreihen am Maßstab der Sozialgebote (Hos4,2 EUJer 7,9 EU) findet man in der Prophetie im Tanach. Darum wird eine Vorform des Dekalogs, die das erste Gebot mitsamt dem Ausschluss anderer Götter und einige weitere Gebote enthielt, spätestens in das 8. Jahrhundert v. Chr. datiert. Die einzelnen Sozialgebote stammen aus nomadischer Zeit (1.500–1.000 v. Chr.) und reflektieren deren Verhältnisse: etwa das Verbot, Vieh, Sklaven und Frau des Nächsten zu begehren. Sie wurden aus vielen ähnlichen Weisungen an Sippenangehörige gezielt ausgewählt, um Gottes Willen so allgemeingültig wie möglich zusammenzufassen.

Da Ex 20 den Erzählfaden der Tora unterbricht, während Dtn 5 die vorangehende und folgende Moserede verbindet, waren die Zehn Gebote als selbständige Einheit in verschiedenen Zusammenhängen zitierbar. Nach Lothar Perlitt wurde diese Einheit von den Autoren des deuteronomistischen Geschichtswerks im 7. Jahrhundert v. Chr. geschaffen. Doch die Exodusversion des Sabbatgebots spielt auf Gen 2,2f EU an, das zum priesterschriftlichen Schöpfungsbericht gehört: Demnach wurden die ersten drei Gebote wahrscheinlich erst ab dem Babylonischen Exil (586–539 v. Chr.) vor eine schon bestehende Verbotsreihe gestellt. Erst die Abschlussredaktion der fünf Bücher Mose stellte die bestehende Reihe beide Male den folgenden Gesetzeskorpora voran.

Dies gab den Zehn Geboten ihre überragende Bedeutung als lebensnotwendige Grundregeln für alle Lebensbereiche in der weiteren Geschichte von Juden- und Christentum. Sie gelten gläubigen Juden und Christen als Kern und Konzentrat der Offenbarung Gottes an Mose, den zum Führer Israels berufenen Empfänger und Vermittler seines Willens für das erwählte Gottesvolk.

Für die Gebote der Kulttafel gibt es keine außerbiblischen Parallelen. Dagegen wurden die sozialen Gebote des Dekalogs mit außerbiblischen Texten wie dem „Negativen Sündenbekenntnis“ (Kapitel 125 im Ägyptischen Totenbuch, um 1500 v. Chr.) verglichen, das dem Bericht des Porphyrios über das ägyptische Totengericht zugrunde lag: „Ich habe die Götter, die meine Eltern mich gelehrt haben, verehrt alle Zeit meines Lebens, und jene, die mir das Leben geschenkt haben, habe ich immer in Ehren gehalten.

Von den anderen Menschen aber habe ich keinen getötet und keinen eines mir anvertrauten Gutes beraubt noch sonst ein nicht wiedergutzumachendes Unrecht begangen…“Die hier indirekt vorausgesetzten Regeln und ihre Abfolge (Götter verehren, Vater und Mutter ehren, nicht töten, nicht rauben, kein sonstiges Unrecht begehen) verglich schon John Marsham, ein Bibelexeget des 17. Jahrhunderts, mit dem Dekalog.

 Frühere Alttestamentler verglichen diesen direkt mit den im Totenbuch gelisteten 42 Verfehlungen. Weil dieses keine Parallelen zum Gebot der Alleinverehrung, der Sabbatruhe und Bilderverbot enthält, seine Textform anders ist und in magischen Zusammenhängen steht, sehen heutige Wissenschaftler wie der Ägyptologe Jan Assmann und der Alttestamentler Matthias Köckert darin kein Vorbild für den Dekalog und die JHWH-Religion.

Mose – Verbots Gebotstafeln Einteilungen

Ex 20,2–17 nennt weder Gebotszahl noch Gebotstafeln; ihre Identität mit den „Zehn Worten“ (Ex 34,28 EU) ergibt sich aus Dtn 4,12–13 EU; 5,22 EU und 10,4 EU. Die doppelt überlieferte Dekalogrede enthält jedoch elf Verbots- und zwei Gebotssätze, wobei Fremdgötter-, Bilder- und Verehrungsverbote sowie Arbeits- und Ruhegebot als thematische Einheiten erscheinen. Daraus entwickelten sich schon seit etwa 250 v. Chr. verschiedene Versuche, die Rede in zehn Einzelgebote einzuteilen und so die biblische Zehnernorm zu wahren. Die Zehnzahl war auch eine Lern- und Merkhilfe, da man die Gebote so an den Fingern abzählen konnte, und in magischer Zahlensymbolik bedeutsam.

Auch veranlassten die biblisch überlieferten Gebotstafeln wohl schon vor der Zeitenwende eine Zweiteilung des Dekalogs, meist in eine auf das Verhalten zu Gott bezogene „Kulttafel“ (Selbstvorstellung bis Sabbatgebot) und eine auf das Verhalten untereinander bezogene „Sozialtafel“ (Elterngebot bis Begehrensverbote).

Juden zählen JHWHs Selbstvorstellung im ersten Satz gemäß dem Anfang des Gebets Schma Jisrael als erstes, die beiden Folgesätze gemeinsam als zweites Gebot. Sie folgen damit dem Talmud, der nicht zwischen Fremdgötter- und Bilderverbot unterschied, sondern gemäß Dtn 5,8 EU die Verehrung von in Kultbildern dargestellten Fremdgöttern verbietet. Orthodoxe, Reformierte und Anglikaner dagegen orientieren sich an Ex 20 und trennen Fremdgötter- und Bilderverbot, so dass letzteres auch Bilder des eigenen Gottes verbietet. Sie fassen aber wie Juden die Verbote, eine andere Frau und fremde Güter zu begehren, als ein Gebot zusammen.

Katholiken und Lutheraner zählen Selbstvorstellung, Fremdgötter- und Bilderverbot als gemeinsames erstes Gebot. Damit lassen sie das Bilderverbot allenfalls für den eigenen Gott gelten; vielfach wurde es als für Christen ungültig vernachlässigt. Um die Zehnzahl zu bewahren, unterteilen sie das Verbot des Begehrens in zwei Verbote. Die Katholiken nennen wie Dtn 5 die Frau zuerst und für sich die Lutheraner wie Ex 20 das Haus.

 

Thema

Juden

Anglikaner, Reformierte, viele Freikirchen

Orthodoxe, Adventisten

Katholiken

Lutheraner

Selbstvorstellung JHWHs

1

Präambel

1

1

1

Fremdgötterverbot

2

1

Bilderverbot

2

2

Namensmissbrauchsverbot

3

3

3

2

2

Sabbatgebot

4

4

4

3

3

Elterngebot

5

5

5

4

4

Mordverbot

6

6

6

5

5

Ehebruchsverbot

7

7

7

6

6

Diebstahlsverbot

8

8

8

7

7

Falschzeugnisverbot

9

9

9

8

8

Begehrensverbot

10

10

10

9 (Frau)

9 (Haus)

10 (Haus und Güter)

10 (Frau und Güter)

Mose – Dekalog Auslegungen

Mose – Dekalog Auslegungen Judentum

Bis 70 wurde der Dekalog täglich im Jerusalemer Tempel verlesen. Er war nach einigen Schriftrollen vom Toten Meer sowie samaritanischen Inschriften auch Teil der Tefillin.

Philon von Alexandria verfasste um 40 den Traktat De decalogo. Er verstand ihn als einzige direkte Offenbarung Gottes und teilte ihn in zweimal fünf Gebote ein, um so eine Analogie zu den „ewigen Ideen“ Platons und zehn Kategorien des Aristoteles herzustellen. Sie waren für ihn „Hauptpunkte“ (Grundprinzipien) aller Toragebote, ja aller Gesetze überhaupt, die er in zehn jedem Dekaloggebot zugeordnete Themengruppen einteilte.

Das Rabbinat lehnte um 100 einen solchen Vorrang des Dekalogs und darum auch seine tägliche Lesung ab, nachdem „Minim“ (gemeint waren eventuell auch Christen) behaupteten: Am Sinai habe Gott nur den Dekalog offenbart, alle übrigen Gebote müssten nicht unbedingt befolgt werden. Dennoch blieb dieser nach Fragmenten aus der Geniza von Kairo Teil des täglichen privaten jüdischen Morgengebets, wo er bis heute rezitiert wird.

Im Talmud gesammelte rabbinische Exegese betont die besondere Wichtigkeit der ersten Gebote, in denen Gott in Ich-Form das Volk direkt anredet. Sie fasste Gottes Selbstvorstellung als eigenständiges erstes, Fremdgötter- und Bilderverbot gemeinsam als zweites und die Verbote des Begehrens gemeinsam als zehntes Gebot auf. So entspricht der Ehrung des einzigen befreienden Gottes die Absage an alle anderen Götter, die üblicherweise in Bildern verehrt wurden.

Wichtige Auslegungen des Dekalogs waren die Midraschim MekPesR (21–24) und Aseret Hadibberot (10. Jahrhundert). Umstritten war, ob die beiden überlieferten Gebotstafeln je eine Hälfte des Dekalogs oder beide den ganzen Text enthielten. Seit etwa 250 v. Chr. wurden die Dekaloggebote auf die Gottes- und die Nächstenliebe verteilt, die als gleichrangig eingeschärft wurden, so dass man Gott nur lieben könne, indem man die konkreten Sozialgesetze der Tora erfülle. Im siebten und zehnten Gebot sah man die übrigen impliziert, da ihr Bruch unweigerlich den Bruch der anderen Gebote nach sich ziehe.

Im Hochmittelalter wurden die Unterschiede des Wortlauts in Ex 20 und Dtn 5 spekulativ erklärt: Gott bzw. Mose hätten beide Versionen zugleich verkündet, beide seien daher gleichwertig. Für Abraham ibn Esra hatten die geringfügig verschiedenen Worte oder Buchstabenkombinationen in jedem Fall dieselbe Bedeutung; größere Zusätze in Dtn 5 erklärte er als von Mose ergänzte Erläuterungen. Nachmanides dagegen sah Ex 20 und Dtn 5 als dieselbe, von Mose überlieferte Gottesrede; vorausgegangen sei die in Ex 19,16–19 und Ex 20,18–21, gefolgt die in Dtn 5,22f. beschriebene Volksreaktion. In Ex 20 / Dtn 5 zählte Isaak Abrabanel 13 Einzelgebote und verstand die „zehn Worte“ nach Dtn 4,13; 10,4 daher als Redeabschnitte. Dies reflektierten die masoretischen Akzentsysteme: Infralineare Akzente unterteilten den Text in zehn, supralineare in 13 Einheiten. Erstere wurden eher für private, letztere für öffentliche gottesdienstliche Lesungen verwendet.

Saadia ben Joseph Gaon sah ähnlich wie Philo alle 613 Toragebote im Dekalog inbegriffen. Er beschrieb die Dekaloggebote poetisch als ihren Ursprung, indem er sie auf 613 Buchstaben von Ex 20 zurückführte. Er übernahm sie auch in die Gottesdienstliturgie des SchawuotfestesJehuda Hallevi nannte den Dekalog die „Wurzel des Wissens“.Josef Albo verstand die erste Tafel theologisch, die zweite ethisch, und beide zusammen als Hauptinhalt der Religion.Abraham bar Chija und ähnlich Samuel David Luzzatto teilten Dekalog und sonstige Toragebote in die drei Kategorien „Gott und Mensch“, „Mensch und Familie“, „Mensch und Mitmensch“ ein.

In der jüdischen Orthodoxie wird der Dekalog nur als Teil eines regulären Tora-Abschnitts und beim Schawuot-Fest verlesen, wobei die Gemeinde stehend zuhört. Dieser Praxis widersprach Maimonides: Die Menschen sollten nicht glauben, ein Teil der Tora sei wichtiger als andere. Das Reformjudentum führte die Dekaloglesung in den wöchentlichen Sabbat-Gottesdienst ein.

Mose – Dekalog Auslegungen - Neues Testament

Im Neuen Testament werden die Zehn Gebote als allgemein bekannte und gültige Willenserklärung Gottes für alle Juden vorausgesetzt. Sie werden daher nirgends insgesamt wiederholt, sondern zu jeweils passenden Anlässen einzeln zitiert und gedeutet.

Jesus von Nazaret zitierte laut den synoptischen Evangelien öfter einzelne Dekaloggebote und legte sie aus. Nach Mk12,28–34 EU knüpfte er an die im rabbinischen Judentum längst übliche Konzentration der ganzen Tora auf das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe an. Indem er die Nächstenliebe dem ersten Gebot gleichstellte, gab er ihr Vorrang vor allen Einzelgeboten.

Die als „Antithesen“ zusammengestellten Torapredigten der Bergpredigt (Mt 5–7) kommentieren die Dekaloggebote „morde nicht“ (Mt 5,21 ff.), „brich nicht die Ehe“ (Mt 5,27 ff.) und indirekt „rede kein Falschzeugnis“ (Mt 5,33 ff.) im Sinne dieses obersten Maßstabs: Sie verschärfen sie, indem sie schon die falsche innere Einstellung zum Nächsten als Bruch und Vergehen gegen Gott erklären. Schon Hass morde, schon ein begehrlicher Blick breche die Ehe, jeder Eid, nicht erst der Meineid vor Gericht wird verboten, da die Bekräftigung einer Aussage im Schwur impliziert, dass ohne sie die Aussage gelogen sein könnte.

In der matthäischen Komposition der Bergpredigt folgen diese Auslegungen den „Seligpreisungen“ an das Volk der Armen. Diese treten somit an die Stelle der „Präambel“ des Dekalogs. Die unbedingte Zusage des Reiches Gottes an die Armen aktualisiert die Zusage „Ich bin JHWH, dein Gott, der dich aus Ägyptenland befreit hat“: Der vergangenen Befreiungstat Gottes entspricht eine kommende Befreiung und Herstellung von Gerechtigkeit für alle Armen, wie sie das Judentum vom Messias erwartet.

Die Zusammenstellung legt nahe, dass Jesus alle zehn Gebote je nach Situation mit einer Halacha mündlich auslegte. Ein ausdrücklicher Kommentar zum Fremdgötterverbot ist seine Predigt zum Vorratsammeln (Mt 6,19–24 EU). Das Anhäufen von Besitz und Reichtümern mache diese zum Götzen (Mammon) und stehe dem notwendigen Teilen mit den Armen entgegen. Damit widerspreche es der Liebe zu dem Gott, der die Armen liebt: „Wo dein Schatz ist, da ist dein Herz … Niemand kann zwei Herren dienen.“ Aus demselben Grund ordnete Jesus wie andere damalige Toralehrer nach Mk2,27 EU das Sabbatgebot der Lebensrettung und dem Heilen von Menschen unter und erlaubte seinen Nachfolgern den Sabbatbruch bei akuter Lebensgefahr.

Nach Mk 10,19 EU verwies er einen reichen Großgrundbesitzer, der ihn nach den Bedingungen für seinen Eintritt in das Reich Gottes fragte, auf den Dekalog als gültigen Willen Gottes, den die Version Mt 19,18 f. mit dem Verweis auf das Gebot der Nächstenliebe ergänzt. Dem Fragenden fehle eins, um Gottes Reich zu erlangen: das Aufgeben allen Besitzes zu Gunsten der aktuell Armen (v. 21). Dies deutet das zehnte Gebot in gleichem Sinn wie das erste: Anhäufen und Festhalten von Reichtum sei Raub an den Armen. Was die Zehn Gebote negativ ausschließen, erhält durch Jesu Ruf in die Nachfolgeeine positive Zielrichtung: Gottes endgültiger Wille sei nicht die Bewahrung einer bestehenden, sondern die Anbahnung einer neuen Ordnung, in der die Armen zu ihrem Recht kommen.

Das Gebot der Elternehrung hat Jesus nach Mk 3,35 EU relativiert: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Nach Mk 7,9–13 EU hat er es aber für Juden allgemein gelten lassen und gegen ungültige Gelübde, die die Eltern materiell belasteten, bekräftigt. Da zur Nachfolge Jesu das Aufgeben der familiären Bindungen gehörte, fordern frühe Aussendungsregeln aus der Logienquelle die Unterordnung der Eltern- unter die Gottesliebe (Mt10,37 EU) und sogar die Geringachtung der eigenen Verwandten gegenüber der Liebe zu Jesus (Lk 14,26 EU).

Für Paulus von Tarsus hat Jesus Christus als einziger Mensch Gottes Willen ganz erfüllt. Von seiner, nicht unserer Erfüllung hänge das Heil ab; wer die Tora weiterhin zum Heilsweg erkläre, leugne das Heil, das Gott mit Kreuz und Auferweckung Jesu für alle Menschen geschaffen habe (Galaterbrief). Wie für Jesus, so erfüllt auch für Paulus die Nächstenliebe alle Gebote der Tora (Gal 5,6+14 EU und Gal 6,2 EU) und hebt sie damit unter Umständen auf. Deshalb erhielten die Toragebote bei ihm einen neuen Stellenwert: Besonders die Kult- und Opfergebote, die als Konkretion des ersten und zweiten Gebots im Pentateuch breiten Raum einnehmen, spielten für Paulus keine entscheidende Rolle mehr. Kultische Reinheit vor Gott sei nicht durch menschliche Anstrengung zu erwerben, sondern durch den Sühnetod Jesu Christi letztgültig erworben worden.

Besonders im Römerbrief spielte Paulus auf die Sozialgebote des Dekalogs an (Röm 2,21f EU: siebtes und sechstes Gebot; 13,9 EU: neuntes und zehntes Gebot). Indem er sie dem Gebot der durch Jesu Lebenshingabe erfüllten Nächstenliebe unterstellte, verallgemeinerte er sie: Die Liebe zum Anderen löse jedes „Begehren“ (ohne besonderes Objekt) ab. Denn diese Sünde habe Christi Weg ans Kreuz aufgedeckt (7,7 EU). Der Folgesatz 13,10 EU („die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“) bezieht sich auf das Böse zurück, das die römische Staatsmacht den Christen zufügte und dem sie mit Gewaltverzicht, Wohltaten und Opferbereitschaft begegnen sollten:

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ (12,17–21 EU). Darum sollten sich die verfolgten Christen den römischen Staatsbeamten unterordnen und ihnen Steuern zahlen (13,1ff EU), sich aber nicht deren heidnischen Sitten anpassen, sondern im Vertrauen auf Gottes Endgericht innergemeindliche Solidarität üben (13,10–14 EU). Ihre Feindesliebe sollte die Zehn Gebote auch der heidnischen Umwelt als vernünftige Ethik nahebringen. Das war für Paulus möglich, weil Christus seinen Nachfolgern den Heiligen Geist geschenkt habe, der ihnen das „Gesetz des Lebens“ einpflanze und sie von allem bloßen Buchstabenglauben zur Liebe befreie (8,2ff EU).

In Eph 6,2 EU begründet eine frühchristliche Haustafel die Mahnung an die Kinder, ihren Eltern zu gehorchen, mit dem vierten Gebot. Jak 2,11 EU begründet Gottes Erwählung der Armen mit dem Dekalog und mahnt die Christen: Der Bruch eines Einzelgebots breche bereits Gottes ganzen Willen. Offb 9,21 EU spielt im Rahmen einer Vision vom Endgericht auf das fünfte bis siebte Gebot an. Somit blieb der ganze Dekalog für die Urchristen gültig.

Mose – Dekalog Auslegungen - Alte Kirche

Altkirchliche Theologen wie Irenäus von LyonJustin der Märtyrer und Tertullian sahen eine inhaltliche Übereinstimmung des Dekalogs mit den wichtigsten ethischen Prinzipien, die der Mensch von Natur aus kenne. Sie begründeten damit eine Auslegungstradition, die den Dekalog mit dem Naturrecht identifizierte oder analogisierte.

Augustinus von Hippo dagegen verstand den Dekalog als Entfaltung des Doppelgebots der Gottes- und Nächstenliebe. Demgemäß wies er die ersten drei Gebote der Gottes-, die anderen sieben der Nächstenliebe zu. Nur durch die Liebe Christi habe sich der Fluch des Gesetzes, das die menschliche Sünde aufdecke, in eine Gabe der Gnade verwandelt, so dass der Dekalog zur Norm christlichen Lebens werden könne.

Mose – Dekalog Auslegungen - Römisch-katholische Kirche

In der Scholastik wurde der Dekalog meist nicht als Ganzes ausgelegt, sondern einzelne Dekaloggebote im Rahmen einer Tugendlehre. Bei Petrus Lombardus und ausführlich bei Thomas von Aquin wurde der Dekalog zum Hauptbestandteil ihrer Lehre vom „Gesetz“ im Gegenüber zur Lehre von der Gnade.

Nach dem Konzil von Trient (1545–1563) wurde der Dekalog Grundlage für eine katholische Morallehre und Gewissenserforschung, zunächst zur Ausbildung von Beichtvätern. Er blieb fortan Gliederungsprinzip für verbindliche ethische Lebensregeln bzw. christliche Pflichten, wobei Verbote ein Übergewicht erhielten. Dabei wurden diese von ihrem historischen Entstehungskontext gelöst, so dass sie entweder als strenge unveränderliche Gesetze oder als zeitlose und damit beliebig zu befolgende allgemeine Normen erschienen.

Der Katholische Katechismus zitiert den ersten Satz, das Fremdgötter- und das Bilderverbot zusammen als erstes Gebot.

Im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK, 1. Auflage 1992) steht zwischen den Absätzen 2330 und 2331: „Du sollst nicht die Ehe brechen.“ Nach KKK 2351 werden Unkeuschheit und in 2352 Masturbation als ungeordnet bzw. unreif beschrieben.

Mose – Dekalog Auslegungen - Evangelische Kirchen

Martin Luthers Großer Katechismus beginnt mit dem Fremdgötterverbot, das für sich als erstes Gebot erscheint. Dann schließt als zweites Gebot das Verbot des Namensmissbrauchs an.Sein Kleiner Katechismus dagegen zitiert Selbstvorstellung und Fremdgötterverbot gemeinsam als erstes, das Verbot des Namensmissbrauchs als zweites Gebot. Das Bilderverbot nennt Luther weder im Großen noch im Kleinen Katechismus direkt. Lutheraner folgen Ex 20 und unterscheiden innerhalb des Verbotes, fremden Besitz zu begehren, zwischen dem erstgenannten „Haus“ und den übrigen Gütern, zu denen die „Frau“, Knechte und Tiere gehören.

Anglikaner und Reformierte folgen wie die Juden der Exodusversion des Dekalogs. Sie sehen Gottes Selbstvorstellung als „Präambel“ gegenüber allen folgenden Geboten. Die Reformierten und die Siebenten-Tags-Adventisten trennen Fremdgötter- und Bilderverbot. Deshalb fehlen bei ihnen alle Bilder, nicht nur Götterbilder im Gottesdienstraum. Anglikaner und Reformierte beziehen das zehnte Gebot auf das „Haus“ des Nächsten, das im biblischen Sprachgebrauch auch allen familiären Anhang und Besitz umfasste.

Die Pfingstbewegung, die charismatische Bewegungevangelikale und freikirchliche Christen betonen, dass sich die Zehn Gebote nur ganz oder gar nicht befolgen lassen. Sie lehnen damit eine „säkulare“, nur an den Sozialgesetzen interessierte Übernahme ohne Glauben an den, der laut Bibel die Gebote erlassen hat und ihre gesamte Befolgung verlangt, ab. Damit geht jedoch auch ein gewisser Konservatismus bei der Ausdeutung einzelner Gebote einher.

Die Liberale Theologie betonte im Anschluss an eine spiritualisierende Deutung der Bergpredigt oft, es komme bei allen Geboten weniger auf den Wortlaut als auf die innere Einstellung an. Damit wurde die konkrete Befolgung der Dekalogforderungen tendenziell beliebig.

Mose – Moderne Auslegungen

In der Neuzeit wurde der Dekalog als überzeitliches Kulturerbe und Grundlage autonomer, das heißt durch eigene Einsicht begründeter Ethik aufgefasst und in allgemein einsehbare Vernunftregeln wie den Kategorischen Imperativ übersetzt. Außerhalb der christlichen Kirchen werden die zehn Gebote in Europa oft als „ethisches Minimum“ aufgefasst, wobei diese Einordnung eher an die auf den Mitmenschen bezogenen Gebote der Sozialtafel anknüpft als an die Kulttafel mit ihrem besonderen Gottesbezug. Zudem kennt nur noch eine Minderheit der westeuropäischen Bevölkerung ihren Wortlaut, während sie Christen in den USA und in einer Minderheitssituation (Diaspora) oft gut vertraut sind.

In der Zeit des Nationalsozialismus waren die Zehn Gebote manchmal Basis für kirchlichen Widerspruch zu gesellschaftlichen Entwicklungen. So veröffentlichten die deutschen katholischen Bischöfe am 12. September 1943 einen „Hirtenbrief über die Zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker“, in dem sie gegen damalige Massenmorde der Nationalsozialisten protestierten:

„Tötung ist in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde: An schuld- und wehrlosen Geistesschwachen und -kranken, an unheilbar Siechen und tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs- oder Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung. Auch die Obrigkeit kann und darf nur wirklich todeswürdige Verbrechen mit dem Tode bestrafen.“

Rezeption

Mose – Der Einfluss des Dekalogs auf die europäische Rechtsgeschichte

Der Einfluss des Dekalogs auf die europäische Rechtsgeschichte ist noch wenig erforscht worden. Er bildet in seinem biblischen Kontext eine Art Verfassungsentwurf einer volkhaften Gemeinschaft, die sich durch eine innergeschichtliche Befreiungserfahrung konstituiert und darum ihrem Gott verpflichtet ansieht und daraus grundlegende Regeln für jedes Mitglied ableitet, die für jede ihrer Gesellschaftsformen verbindlich bleiben sollen.

Vermittelt durch die Kirchengeschichte wirkte der Dekalog weniger gesellschaftsformierend, sondern eher individuell als Inbegriff sogenannter christlicher Tugenden weiter. Für direkte Einflüsse des Dekalogs auf materiales Recht gibt es daher nur wenige historische Beispiele: etwa die spätantike Collatio legum Mosaicarum et Romanorum (um 390), die römische Rechtssätze den Dekaloggeboten zuordnete, oder die mittelalterlichen Gesetze, die Alfred der Große (ca. 849–899) jeweils mit einer Paraphrase des zugehörigen Dekaloggebotes einleitete.

Schon der römische Kaiser Julianus stellte 363 heraus, dass die Gebote der „Kulttafel“ (Fremdgötterverbot, implizit Namensheiligung, und Sabbatgebot) nicht konsensfähig seien, während kaum ein Volk die übrigen Gebote ablehnen würde. Die neuzeitliche Rechtsgeschichte wurde als Versuch gedeutet, ebendiesen vernünftig einsehbaren Rechtskonsens herzustellen, ohne allgemein den Glauben an den Geber dieser für das Zusammenleben unaufgebbaren Grundregeln zu fordern. Heute stellen manche Alttestamentler und Historiker heraus, dass die modernen Menschenrechte zwar gegen den theokratischen Geltungsanspruch des Dekalogs formuliert und durchgesetzt wurden, gleichwohl aber in ihm angelegt und von ihm beeinflusst waren.So sei etwa die Verfassungstheorie des Theologen Emmanuel Joseph Sieyès in der Französischen Revolution von biblischem Recht mitbestimmt gewesen. Das spezifisch jüdische Sabbatgebot hatte in Form der allgemeinen gesetzlichen Sonntagsruhe konkrete rechts- und sozialgeschichtliche Folgen.

In den USA ist das Verhältnis von biblischer Rechtstradition zu den Grundprinzipien der US-Verfassung bis heute umstritten. Versuche von konservativen Christen, dem Dekalog öffentliche Aufmerksamkeit und Geltung etwa in staatlichen Behörden, Schulen, Gerichtsgebäuden zu verschaffen, zogen seit 1945 einige Musterprozesse und Grundsatzurteile des Supreme Court nach sich. Vertreter eines konsequenten Ausschlusses des Dekalogs aus der Öffentlichkeit ist etwa der Philosoph Harry Binswanger: Er sieht die ersten drei Gebote des Dekalogs als Aufforderungen zur Unterordnung, die sinnvolle Inhalte der Sozialgebote nicht vernunftgemäß begründen könnten, da dies dem Menschenrecht auf individuelle Selbstbestimmung widerspreche.

Mose – Zehn Gebote - Belletristik und religiöse Populärliteratur

Thomas Mann schrieb 1943 in den USA auf Englisch eine Novelle für den Sammelband The Ten Commandments , die er 1944 ins Deutsche übersetzte und unter dem Titel Das Gesetz in Stockholm veröffentlichte. Sie beschreibt die Entstehung der Zehn Gebote romanhaft als Anleitung zur Menschwerdung des Menschen: zitiert nach Karl-Josef Kuschel: Weltethos aus christlicher Sicht (April/Mai 2008)

„Die Juden haben der Welt den universalen Gott und – in den zehn Geboten – das Grundgesetz des Menschenanstandes gegeben. Das ist das Umfassendste, was man von ihrem kulturellen Beitrag sagen kann …“

Obwohl sie nur Israel anreden, seien sie „eine Rede für alle“, deren universale Geltung jeder Hörer unmittelbar verstehen könne. Mann stellte ihren Gegensatz zur nationalsozialistischen Barbarei heraus, die damals jedes allgemeine Fundament der Humanität und Moral außer Kraft zu setzen versuchte:

„Aber Fluch dem Menschen, der da aufsteht und spricht: ‚Sie gelten nicht mehr.‘“

Der katholische Theologe Stephan Sigg hat 2011 ein Jugendbuch „10 gute Gründe für Gott – Die 10 Gebote in unserer Zeit“ herausgegeben, das jungen Leuten die Zehn Gebote nahebringen möchte. Borromäusverein und Sankt Michaelsbund wählten das Buch als „religiöses Kinderbuch des Monats“ April 2011 mit der Begründung: „Die Geschichten sind mit viel Ironie, Humor, aber immer ohne pädagogischen Zeigefinger und belehrenden Unterton unterhaltsam erzählt. Mit ihren meist subtilen inhaltlichen Bezügen zu den Zehn Geboten provozieren sie den Leser zum Nachdenken.“

Im Roman Die Entdeckung des Himmels erzählt Harry Mulisch von einer Suche nach den Gesetzestafeln.

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